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Die Relikte des Kults

Die Relikte des Kults

Der Coronakult gehört weitestgehend der Vergangenheit an und doch finden sich seine Spuren noch immer im öffentlichen Raum.

Irgendetwas ist anders. Ich sitze in der S-Bahn und merke, dass mit dem Bild, dass sich mir in der Fahrgastkabine darbietet, irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Und da wird es mir schlagartig bewusst. Es ist ein Frühlingstag und ich befinde mich in einem Zug mit nahezu ausnahmslos unmaskierten Mitmenschen. Wann habe ich das zuletzt erlebt und gesehen? Im Frühling 2019! Vor vier Jahren. Diese Zeitspanne entspricht der Amtsperiode eines Bundeskanzlers oder eines US-Präsidenten.

Es sind schon so viele Tage seit der Pre-Kultzeit verstrichen, dass ich schon beinahe vergessen hatte, wie ein normales Straßenbild aussieht. Nun schaut es im öffentlichen Raum beinahe wieder so aus wie vor 2020. Aber dennoch ist es nicht wie zuvor. Irgendetwas ist anders. Die Spuren des Kults entziehen sich teilweise der unmittelbaren Sichtbarkeit und sind erst bei genauerer, achtsamer Betrachtung erkennbar.

Symbolträchtig hierfür sind die verbliebenen Klebstreifen der Maskenpflichthinweisschilder auf manchen U-Bahntüren. Die Maskenpflicht und die Hinweise auf selbige sind verschwunden, doch etwas bleibt haften.

Über den Coronakult schrieb der in Deutschland lebende US-Politsatiriker C. J. Hopkins, dass dieser sich von anderen Kulten in folgender Hinsicht unterscheiden würde:

Für gewöhnlich würden in einer Gesellschaft Kulte isolierte Inseln innerhalb einer dominanten Kultur darstellen. Beim Coronakult habe sich dagegen das Verhältnis so umgedreht, dass der Kult selbst zur dominanten Kultur der Gesellschaft wurde und jene, die sich ihm verweigerten, auf eine isolierte Insel verbannt wurden.

Das ist ein sehr stimmiges Bild, mit dem ich im Folgenden weiterarbeiten, es fortführen möchte. Denn nun ist der Kult abgeebbt. Im Bild bleibend könnte man von einer Ebbe sprechen, die der Flut des Kultes gefolgt ist. Die vormals isolierte Insel der Kultverweigerer ist potenziell wieder an die dominante Kultur anschlussfähig, begehbar geworden. Doch ähnlich wie beim Wattenmeer verbleibt bei sich zurückziehender Flut ein matschiger Boden. Die Tatsache, dass die Bewohner der isolierten Insel die ganze Zeit über auf ganzer Linie recht behalten hatten, wurde in einer von der dpa initiierten, groß angelegten Desinformationskampagne als „reines Bauchgefühl“ abgetan. Lachhaft.

So bleibt ein gewisser Widerwille, die fast drei Jahre isolierte Insel des Nichtkults wieder zu verlassen. Die Menschen der dominanten Kultkultur haben trotz Maskenpflicht ihre Masken fallengelassen und ihr wahres Gesicht gezeigt. Die ganze Republik sollte mit dem Finger auf sie, die Kultverweigerer der Insel, zeigen. Nach diesem Schwall des Hasses und Ausgrenzung ist der Drang zur Rückkehr überschaubar.

Auf Spurensuche des Kults

Nicht nur an mancher U-Bahntür sind Reste des Kults haften geblieben. In einigen Stationen kleben am Boden noch die Pfeile fest, die dem Passanten anzeigen sollten, auf welcher Seite er in welche Richtung laufen darf. Daran hält sich zum Glück niemand mehr.

Was wurde eigentlich aus den Testzentren, deren Besitzer sich mit blutigen Nasen eine goldene verdienten? Bis vor Kurzem gab es von denen in den Innenstädten mehr als öffentliche Toiletten. Nun findet man sie nirgends mehr. Die Räumlichkeiten in meiner Wohngegend, die zuletzt ein größeres Testzentrum beherbergten, nutzt jetzt ein Hundefriseur. Statt Testergebniswellen werden hier Dauerwellen für Hunde fabriziert. Wie lange wird sich dieser Laden halten können? Das durch Inflation verminderte Vermögen der Hundehalter lässt solch einen Luxus wohl bald nicht mehr zu.

Den Kult wäre visuell fast vergessen, säße nicht in nahezu jedem Verkehrsmittel des ÖPNV der eine Quoten-Kultist, der immer noch stramm seine Schnabelmaske im Gesicht trägt. Diese scheint wohl schon mit seinem Gesicht verwachsen zu sein.

Es ist einfach nicht mehr zu begreifen. Selbst die Antifa-Fotografen bei den „München steht auf“-Demozügen haben mittlerweile ihre Masken abgelegt, sodass ich ― obwohl ich diese Menschen nun schon seit Jahren „vom Sehen“ kenne ― das erste Mal ihre Gesichter erblicken konnte.

Doch das mit der Begegnung von Angesicht zu Angesicht ist immer noch nicht vollständig wiederhergestellt. Bei einem Termin im Bürgerbüro ist die Verwaltungsfachangestellte nach wie vor durch eine Plexiglasscheibe von mir getrennt. Eine Packung Desinfektionsmittel steht für jede weitere Virusvariante bereits griffbereit auf dem Bürotisch.

Nach dem Kult ist vor dem Kult

Der Kult hat sich größtenteils der unmittelbaren Sichtbarkeit im öffentlichen Raum entzogen. Würde man in der Innenstadt mehrere Fotos schießen und sie jemanden vorlegen mit der Bitte, das Aufnahmedatum zu erraten, so wäre es schwer erkennbar, ob das Bild vor oder nach 2020 entstanden ist.

Und dennoch verbleiben Nachwehen des Kults, die sich nicht direkt greifen und beschreiben lassen. Es ist etwas Subtiles, etwas in der Luft Liegendes, das sich dem aufmerksamen Beobachter aufdrängt und ihn fühlen lässt, das irgendetwas anders ist.

Wir erfahren keine nahtlose Fortsetzung unseres Lebens, welches Anfang 2020 unterbrochen wurde und nun scheinbar wie gewohnt weiter geht. Es liegt eine Narbe auf dem Zeitstrahl.

Gut, eine Weiterführung des Lebens von 2019 war auch nie angedacht. Der Rundfunkbeitragszahler durfte sich zu Beginn der Fake-Pandemie von SWR-Redakteur Karsten Becker als „Spinner und Wirrkopf“ beschimpfen lassen, wenn er eine Rückkehr zur Normalität forderte. Auch Frank-Walter Steinmeier schwor im April 2020 die Menschen darauf ein, dass die Welt nach Corona eine andere sein werde.

Und nun? Ist die Welt nun eine andere? Ja, das ist sie, auch wenn sie sich optisch nicht sonderlich von der Welt vor 2020 unterscheidet. Es bedarf eines genaueren Hinsehens, eines Blicks in den Augenausdruck der Menschen. Etwa in den Fußgängerzonen: Viele Augen sind irgendwie leer, trüb und freudlos, selbst in den wenigen Momenten, wenn der Blick nicht gen Smartphone gerichtet ist. Sonderlich gesund sieht fast niemand mehr aus.

Mit der Maskenpflicht ― die auch optisch ein Verbrechen war ― scheint auch das Stilbewusstsein vieler, gerade junger Menschen abhandengekommen zu sein. Jacke, Hosen, Schuhe, Mützen ― farblich wie proportional wollen die einfach nicht mehr zusammenpassen. In vielen Ohren stecken permanent kabellose In-Ear-Kopfhörer als Symbol transhumanistischer Angewöhnung, dass der Mensch körperlich mit der Technik verschmelzen wolle.

Und auch in den Fensterfronten sind bei genauerer Betrachtung Spuren des Kults zu erkennen. Einige der in die Insolvenz „gelockdownten“ Einzelhändler gibt es nicht mehr. Entweder steht die Ladenfläche leer oder ein Ableger eines amerikanischen Lieferdienstes hat sich dort eingenistet und lässt seine prekär beschäftigten Auslieferer die Essensbestellungen durch Wind und Wetter radeln.

Der Kult ist nicht wirklich weg. Sein Dunst liegt mit einer bleiernen Schwere auf allem. Die Leichtigkeit der alten Normalität ist einfach nicht mehr da, der Frieden trügerisch.

Bedienen wir uns noch einmal des Bildes von C. J. Hopkins von der isolierten Insel und der dominanten Kultur. Jetzt gerade ist Ebbe, die bis zu einem gewissen Grad einen Austausch, teilweise sogar eine Versöhnung zwischen den Kultverweigerern der Insel und den Kultanhängern der dominanten Kultur zulässt. Doch der Ebbe folgt naturgemäß eine abermalige Flut. Der nächste Kult ist gewiss. In welchem Gewand er kommen wird, darüber lässt sich streiten.

Derzeit wird der öffentliche Raum mit Werbebotschaften rund um CO2 und Klima geflutet, Einkaufsstraßen werden zu Greenwashanlagen. Jedes Unternehmen brüstet sich mit Nachhaltigkeit und Klimaneutralität―jene Unternehmen, die sich zuvor um ihre Mitwelt einen feuchten Kehricht scherten. Kreditkartenanbieter wie Mastercard verleiten dem nach guten Gewissen strebenden Konsumenten mit „pay and grow“ zur „klimaneutralen“, bargeldlosen Zahlung. Der Weg wird gepflastert hin zur bargeldlosen Gesellschaft, die mit an individuelle CO2-Budgets gekoppelten, digitalen Zentralbankgeld zahlt. Der fruchtbare Acker für einen neuen Kult ist längst bestellt und die ersten Knospen sind bereits sichtbar.

Inmitten dieser Greenwashanlage suche ich mit knurrendem Magen einen Bäcker auf. Diesen darf ich nun seit mehr als einem Jahr wieder unmaskiert betreten. Unbedarft bestelle ich mir ein kleines Mittagessen, welches ich natürlich bar bezahle. Als mir der junge Bäckereiverkäufer die Papiertüte über die Theke reicht, fällt mir bereits die seltsam grüne Farbe auf. Beim Verlassen der Bäckerei werfe ich einen Blick darauf, und mir bleibt die Spucke weg, während mir zugleich der Appetit vergeht.

BILD

BILD

Mir ist eine Werbebotschaft für den Krieg ungefragt in die Hand gedrückt worden, sodass ich unfreiwillig zu einer Bundeswehr-Werbefläche werde, solange ich mein Essen vom Bäcker im öffentlichen Raum verspeise.

Die wiedererwachte Kriegsbesoffenheit der Deutschen bietet natürlich ebenso den Nährboden für einen neuen Kult.

Wie gehen wir also mit einem neuen Kult um? Wie bereiten wir uns darauf vor, wenn dieser sich bereits anbahnt? Was machen wir, wenn die Flut die Insel der Kultverweigerer abermals isoliert? Dieses Mal wird es ja noch leichter sein, da die Verweigerer bereits identifiziert wurden und nun mit den neuen Themenfeldern Klima und Russland verknüpft werden. Stichwort „Friedensschwurbler“.

Eines dürften wir aus der Zeit des Coronakults gelernt haben. Es geht nicht mehr um rationale Argumente, um die Widerlegung falscher, auf Lügen basierender Narrative. Freilich muss diese Aufklärungsarbeit weiter betrieben werden. Doch allein darauf sollte nicht mehr die ganze Kraft verwendet werden, die Energie darf nicht mehr im alleinigen Bemühen um das Rechthaben verpuffen. Um dem nächsten Kult das Wasser abzugraben, muss die Gegenkultur eine Anziehungskraft entwickeln und eine Attraktivität ausstrahlen. Diese Anziehungskraft muss die Anreize und die sinnstiftenden Elemente des neuen Kults hinfällig werden lassen.

Weiter im Bild der Insel bleibend, wären wir gut damit beraten, mehr Energie in das Errichten von Dämmen zwischen der Insel und der dominanten Kultur zu stecken. Nicht, dass in der Coronazeit niemand an solchen Dämmenen, an solchen Handreichungen gearbeitet hätte. Doch floss ein Großteil der Energie in das wechselseitige Bestätigen dessen, dass man recht hatte. Eisernes Rechthaben ruft jedoch nur selten Sympathien hervor. Richten wir unseren Fokus nun auf das präventive Brückenbauen über sich schon jetzt abzeichnende Gräben, können wir der Spaltung zumindest stellenweise zuvorkommen. In vielen Menschen, die durch die Genspritzen geschädigt wurden, gärt bereits fundamentales Misstrauen gegenüber diesem pathologischen System, welches sie willentlich in eine schreckliche Lebenslage geführt hat. Das Fundament für solche Brücken ist bereits vorhanden.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Kaiser, Gunnar, „Der Kult: Über der Viralität des Bösen“, München, 2022, Rubikon.


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